Gesunder Selbsthass

Paul Beatty begibt sich nach Berlin: „Slumberland”

Zum Brüllen komisch! Das Attribut erscheint regelmäßig in den Kritiken zu Paul Beattys Büchern, auch wenn das Gebrüll eine tiefe Verstörung über das kranke Herz der Gesellschaft ausdrückt. Das galt für das Debüt des jungen Afroamerikaners, das 1999 unter dem Titel „Der Sklavenmessias” in Deutschland erschien, und gilt auch für seinen neuen Roman „Slumberland”. Der Schriftsteller verlegt diesmal den Schauplatz von den amerikanischen Ghettos nach Berlin. Sein Thema aber ist geblieben: Die Suche eines schwarzen Mannes nach sich selbst. Eine von Coolness grundierte Ironie auf festgelegte Identitäten. Und der Versuch, die Klischees, wenn schon nicht zu überwinden, dann doch durch absurde Überziehung zu enttarnen.

Auch in den Grundzügen seiner Hauptfigur ist sich der Autor treu geblieben. Wieder mal gerät ein intellektueller, übertalentierter Zweifler in eine ihm fremde Welt. Und sucht mit den richtigen Worten – oder auch Beats – seinen Weg durch den Dschungel. „Ich gebe es ja selber zu, ich bin nicht der technisch versierteste DJ, der je die Nadel in die Rille schob. Akute Linkshändigkeit, Angst vor Menschenmassen und das, was ich meinen gesunden Selbsthass nenne, fügen sich zu meinem einprägsamen Künstlernamen: DJ Darky . . . und so kombiniere ich meinen Mangel an Handwerk und Negritude mit einem Übermaß an gutem Geschmack.”

Dabei gibt die Geschichte von DJ Darky vor allem den Rahmen ab für Beattys popkulturelle Exkurse, seine hippen Auflistungen und Querverweise. Der Plot? Ein schwarzer DJ mit unfehlbarem Musikgedächtnis ist nach Berlin gekommen, um die Plattentruhe des Slumberland mit 100 esoterischen Höhepunkten des schwarzen Pop neu zu bestücken. Sein eigentliches Ziel aber ist ein mythenumrankter Musiker. Daheim in Los Angeles hatte Darky die Angebote der Gangstarap-Mafia abgelehnt, ihm seinen perfekten Beat abzukaufen. Nun möchte er in Berlin den einzigen Musiker finden, dessen Free-Jazz-Voodoo-Improvisationen es wert sind, sein Stück zu vollenden: Charles Stone, genannt der Schwa. Von Deutschland hat Darky allerdings nur ein paar vage Ideen, verbunden mit der Hoffnung, hier endlich er selbst sein zu können, ohne die Blickfilter des weißen Amerika.

„Wissen sie denn nicht, dass es nach eintausendvierhundert Jahren aus ist mit der Scharade des Schwarzseins?” verkündet er gleich zu Anfang des Romans. „Dass wir Schwarzen, die einstmals ewig Hippen, die Typen, die so hier und jetzt waren wie die Zeitansage, ab heute genauso von gestern sind wie der Faustkeil, das Veloziped und der Strohhalm aus Papier? Der Neger ist jetzt offiziell Mensch.” Doch er hat das Ende des Schwarzseins zu früh ausgerufen. Die Deutschen erinnern ihn ständig an seine Hautfarbe, er wird ihnen zum Objekt von Lust, Verehrung, Solidarität und Abgrenzung, verdammt, ein Anderer zu bleiben.

Beatty, der 1996 ein Jahr als Stipendiat in Berlin lebte, erweist sich dabei als scharfer Beobachter. So hat Sex bei ihm grundsätzlich die Funktion sozialer und rassischer Demaskierung – und das Slumberland, ein von weißen Frauen und schwarzen Männern bevölkerter Abschleppschuppen, spielt ihm die Pointen zu. Während die Dialoge oft im Slapstick stecken bleiben, ist es die Musik, die eine wirklich gemeinsame Sprache schafft und das Absurde erträglich macht. Wie verloren wäre DJ Darky ohne die zärtliche, spirituelle Kraft seiner Musik?

Beatty, ein Schüler von Allen Ginsberg, der manchmal zu Unrecht als „HipHop-Literat” klassifiziert wird, teilt immerhin einige Qualitäten mit seinem DJ-Protagonisten: Die Respektlosigkeit etwa, mit der er Hochkultur und Straßenjargon mischt. Goya und Graffiti, Boleros und Breakdance, Tupac und Edgar Allan Poe prallen da in aberwitzigen Metaphern aufeinander, Heidegger bekommt bewusstseinserweiternde Party-Pillen verpasst und der schwarze Wachmann des Amerikahauses – „Deutschland ist der Himmel des schwarzen Mannes, du musst dich einfach von ihnen lieben lassen” – wird dem „schwarzen Freakshow-Vermächtnis” zugeordnet, „wie vor ihm die Hottentotten-Venus, der im Zoo der Bronx als missing link zur Schau gestellte kongolesische Pygmäe Ota Benga . . . die ersten beiden Afroamerikaner bei The Real World auf MTV und ich”. Der Wasserfall der Wortspiele wird da selbst zu einer Art Comicbuch-Jazz.

Beatty, der zuletzt „Hokum”, einen Reader zu afroamerikanischem Humor zusammengestellt hat, schlägt mit kindlicher Begeisterung seine komischen Haken. Kitzelt den Nerd aus der afroamerikanischen Trickster-Figur des Brer Rabbit. Lässt die Doppeldeutigkeiten mit derselben Freude platzen wie Kinder ihre Wasserbomben: Etwa als Darky durch kuriose Umstände als DJ in einer Neo-Nazi-Demo landet, um die Versammlung mit Schwas radikaler Coverversion des Horst-Wessel-Lieds zu ehrfürchtigem Schweigen zu bringen. Oder als er und sein Free-Jazz-Idol schließlich die Berliner Mauer zumindest akustisch wiedererrichten.

Bisweilen droht die Geschichte in ein von bekifften Musikern auf Barhockern herbeiphantasiertes Hipstermärchen zu kippen. Doch will man das Beatty wirklich vorwerfen? Wenn DJ Darky hier durch eine Reihe ziemlich zusammenhangloser Vignetten von Pointe zu Pointe stolpert, entspricht das nicht nur dem Sample-Prinzip des Hip Hop. Sondern auch der Sprunghaftigkeit des Lebens: „Menschen treten die ganze Zeit in mein Leben”, hat Beatty einmal erklärt, „verändern mich, und verschwinden wieder. Dasselbe passiert in meinem Schreibprozess.” Mit DJ Darky gibt er oft gerade das, was er am meisten verehrt, der Lächerlichkeit preis. Hat der Schwa doch sein bestes Stück auf einer von der Stasi produzierten Videokassette versteckt - als Hintergrundmusik zu einem Hühnerfick.  JONATHAN FISCHER

PAUL BEATTY: Slumberland. Roman. Übersetzt von Robin Detje. Blumenbar, München 2009. 317 Seiten, 19,90 Euro.