Die Spuren der Tränen

Dem Soulsänger und Songschreiber Smokey Robinson zum Siebzigsten

Smokey Robinson gründete 1959 zusammen mit Berry Gordy die Soulfabrik Motown, landete mit den Miracles und als Solokünstler drei Dutzend Top-Ten-Hits und wurde von Bob Dylan als „Amerikas größter lebender Poet” bezeichnet. An diesem Freitag feiert der Sänger mit dem unverkennbar geschmeidigen Timbre seinen 70. Geburtstag.

SZ: Herr Robinson, es heißt, Sie hätten bislang gut 5000 Songs geschrieben.

Smokey Robinson: Das könnte stimmen. Vor drei Jahren bekam ich eine Mail von meinem Verlag, dass es inzwischen über 4000 Songs wären. Und da sind meine Gedichte gar nicht mitgerechnet worden. Dabei gibt es natürlich längst keine neuen Worte, Akkorde und Ideen mehr. Ich arbeite also mit dem Material, dass schon seit Hunderten und Tausenden Jahren um die Welt geht. Ich will es nur immer noch einmal ein bisschen anders formulieren.

SZ: Die Beatles, die Rolling Stones und Linda Ronstadt haben Sie erfolgreich gecovert, Kompositionen wie „My Guy”, „Tears Of A Clown” oder „More Love” sind Soulklassiker. Wie viel Arbeit steckt in solchen Meisterwerken?

Robinson: Die besten Songs kommen oft ganz von selbst zur Welt. So wie etwa „Ooo Baby Baby”. Da improvisierte ich am Ende einer Show diese drei Worte, die Miracles fielen spontan ein, und die Zuschauer rasteten schier aus. Also dachte ich mir: Warum nicht einen Song daraus machen?

SZ: Seit „Shop Around”, Ihrem ersten Millionen-Hit für Motown aus dem Jahre 1960, haben Sie Ihre Songs selten ganz allein geschrieben.

Robinson: Teamwork war bei Motown die Grundlage des Erfolgs. Und ich brauchte im Studio unbedingt meinen Gitarristen Marv Tarplin. Er spielte mir eine Folge von Riffs vor. Und ich ließ sie so lange auf mich wirken, bis mir der passende Text einfiel. Bei „The Tracks Of My Tears” etwa blieb ich lange bei den ersten drei Zeilen des Refrains hängen „Take a good look at my face / You’ll see my smile seems out of place / If you look closer it’s easy to trace . . .” – dann fiel mir eines Tages beim Autofahren auch die vierte Zeile ein: „The tracks of my Tears” – auch Tränen hinterlassen Spuren!

SZ: Auf Ihren Konzerten brechen die Fans oft reihenweise in Tränen aus. Dabei wirken selbst Ihre sentimentalsten Songs optimistisch, beschwingt.

Robinson: Ich komme aus einer armen Gegend von Detroit und bin nach dem Tod meiner Mutter bei meiner Schwester aufgewachsen. Dort teilten sich elf Kinder vier Betten. Trotzdem habe mich immer reich gefühlt. Am reichsten, wenn meine Songs anderen Menschen Trost spenden konnten. Oliver Stone etwa hat „The Tracks Of My Tears” für eine Schützengrabenszene seines Vietnam-Films „Platoon” verwendet – er erzählte mir, wie viel meine Songs damals den Soldaten bedeuteten.

SZ: Sie bezeichnen Ihre Mutter und Motown-Boss Berry Gordy als Ihre größten Lehrmeister.

Robinson: Mit sechs Jahren habe ich meinen ersten Song geschrieben: „Goodnight Little Children”. Meine Mutter war Richterin und Publikum zugleich, sie rief alle Verwandten an, und ich musste ihnen in den Telefonhörer singen. Als sie starb, war ich zehn. Das Komponieren rettete mein Leben. Berry Gordy hat mir später beigebracht, dass Stimmungen und Gefühle alleine noch keinen Hit machen. Du musst sie auch in eine ganz einfache Story verpacken.

SZ: Sie zeigen sich in Ihren Songs von einer träumerischen, verletzlichen Seite, Qualitäten, die in der heutigen Popmusik oft einer vermeintlichen Stärke und Ironie gewichen sind.

Robinson: Ich bin mit Sicherheit kein Machotyp. Andererseits reflektiert meine Art, zu schreiben die Umgebung, in der ich aufwuchs. Bei uns zu Hause liefen Songs von Irvin Berlin, Cole Porter, Charles Brown und Duke Ellington. Das waren Männer, die Empfindsamkeit zu einer besonderen Qualität ihrer Musik erhoben.

SZ: Auf Ihrem jüngsten Album haben Sie eine Jazz-Version des Jackson-Five-Hits „I Want You Back” versteckt.

Robinson: Ich hatte das Album bereits fertig, als Michael Jackson starb. Früher, als Vize-Boss von Motown war ich eine Art älterer Bruder für ihn. Leider hatten wir uns in den vergangenen zehn Jahren völlig auseinandergelebt.

Interview: Jonathan Fischer