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Die Wut kam mit „Katrina“

Der Trompeter Christian Scott über seine Heimatstadt New Qrleans und warum Politik für den Jazz so wichtig ist wie virtuose Technik


Der 26-jährige Trompeter Christian Scott gilt als einer der besten jungen Jazzmusiker, weil er technische und musikalische Grenzen verschiebt. Herbie Hancock hält ihn für das größte Talent der Gegenwart, Prince hat ihn ins Studio geholt und Randy Jackson sieht ihn als „Reinkarnation von all dem, was wir an Miles Davis liebten”. Und wie so viele seiner Vorgänger sprengt er die Genregrenzen – er tritt mit Rappern auf, verdingt sich nebenbei als Model und Schauspieler (etwa neben George Clooney in „Leatherheads”). Im März erscheint sein bisher politischstes Album „Yesterday You Said Tomorrow” (Concord/Universal).

SZ: Sie gelten als legitimer Erbe von Louis Armstrong und Wynton Marsalis. Trotzdem weigern Sie sich, beim diesjährigen Jazz Festival in Ihrer Heimatstadt New Orleans aufzutreten.

Christian Scott: Als Star zahlen sie mir natürlich jede geforderte Gage, so wie sie auch Lenny Kravitz oder Elton John ihre 60 000 Dollar zahlen. Aber die Jungs von den Brassbands und lokalen Kombos sollen fast kostenlos auftreten – das ist nicht fair oder? Besonders, wenn man bedenkt, dass New Orleans eine Art Entwicklungsland ist, wo es kein öffentliches Schulsystem mehr gibt. Hunderte Kinder gehen mangels Geld überhaupt nicht zur Schule. Unser eigenes Haiti liegt an der Mississippi-Mündung – und niemand will es wissen.

SZ: Sie fühlen sich immer noch der Musikszene Ihrer Heimatstadt verpflichtet?

Scott: Ich verdanke ihr einige meiner großartigsten Momente. Oft habe ich bei der „Hot 8” oder der „Rebirth Brass Band” mitgejammt. Bei Paraden, wo die Zuschauer über Autos tanzen, sich Wildfremde verbrüdern, alle sich besaufen und manchmal Schießereien ausbrechen.

SZ: Um dann wieder durch die Konzertsäle zwischen New York und Los Angeles zu touren.

Scott: Und meinem Publikum von den Zuständen in New Orleans zu erzählen. Viele können mich deswegen nicht leiden. Vor allem diese Jazzliebhaber, die irgendeine verweichlichte Musik erwarten, die die Gesellschaftsordnung des Antebellum reflektiert. Sie wollen, dass ich mein Maul halte. Aber dafür müssen sie mich erst umbringen.

SZ: Sie eröffnen Ihre Konzerte oft mit der Begrüßung „Willkommen Freunde und Feinde”.

Scott: Das habe ich von Malcolm X: Er wusste immer, dass Feinde im Publikum sitzen.

SZ: Dafür haben Sie jetzt einen Ruf als „angry young man”.

Scott: Meine große Wut kam erst mit dem Hurrikan „Katrina”. Ich hatte wie die meisten New Orleanser schon eine Ahnung, dass wir Bürger zweiter Klasse sind. Nach „Katrina” aber wurde es offensichtlich: Ich hatte eine Freundin, deren drei Tage altes Baby starb im Sturm und sie hat es in einer Schuhschachtel begraben. In einer verdammten Schuhschachtel! Ich war so wütend, ich hätte alle möglichen Menschen umbringen können: Allen voran George Bush. Dem hätte ich am liebsten die Kehle durchgeschnitten. Er war für mich ein Mörder.

SZ: Wenige prominente Afroamerikaner haben das jemals so krass formuliert.

Scott: Die Passivität meiner Landsleute hat mich wirklich deprimiert – ich hatte erwartet, dass die New Orleanser ausrasten, oder zumindest jemanden zur Rechenschaft ziehen.

SZ: Wenn Sie das im Rahmen eines Jazzkonzerts erzählen, muten Sie dann Ihrem Publikum nicht etwas viel zu?

Scott: Ich bin da in guter Gesellschaft: Louis Armstrong hat Präsident Eisenhower 1957 einen Schwächling und Lügner geschimpft. Er erklärte, er werde seine Tour als Kulturbotschafter Amerikas in die Sowjetunion absagen und überhaupt keine Konzerte mehr in seinem Heimatland geben, solange neun schwarze Kinder in Little Rock, Arkansas, nicht eine weiße Schule besuchen dürften. Der Fall der sogenannten „Little Rock Nine” machte Schlagzeilen. Und schließlich schickte Eisenhower die Nationalgarde.

Nein, Armstrong war nicht der gefällige Kopfnicker, für den ihn manche hielten. Und es gab immer Jazzmusiker, die im Namen des Volkes aufstanden. Charles Mingus sponserte Frühstücksprogramme für Kinder aus dem Ghetto.

Ich halte die Politik im Jazz für genauso wichtig wie etwa virtuose Trompetentechnik. Offensichtlich fielen gesellschaftliche und künstlerische Avantgarde oft zusammen. Sehen Sie sich Miles Davis an. Wenn er dem Publikum den Rücken zudrehte, konnte man ihn natürlich für ein Arschloch halten. Aber er repräsentierte mit seiner Feindseligkeit auch einen Großteil des schwarzen Amerika, den der Mainstream übergangen hatte.

SZ: Mit Miles Davis werden Sie ja oft verglichen. Vor allem wegen Ihres lyrischen Trompetentons.

Scott: Es ist nicht der Sound, es sind die Probleme, die wir gemeinsam haben. Nehmen Sie mal einen meiner Songs wie „KKPD” – eine Abkürzung für Ku Klux Police Department. Ihm liegt eine Negativ-Erfahrung mit der Polizei zugrunde, die wir Afroamerikaner seit Generationen teilen. Und das schlägt sich auch in unserer Musik nieder.

SZ: Ihre Songtitel wie „Jenacide” oder „American’t” klingen wie Kampfansagen.

Scott: „Jenacide” erklärt sich von selbst: Eine Hommage an die Jena Six, die sich zur Wehr setzten gegen weiße Rassisten. „American’t” ist vielleicht mein hoffnungslosestes Stück: Diese ganze Diskussion über Obamas Gesundheitsreform hat mal wieder gezeigt, wie Habgier und Egoismus das Land regieren.

SZ: Hat Sie die Spendenflut für Haiti nicht in Ihrem Urteil umgestimmt?

Scott: Sie haben vielleicht ein bisschen für Haiti gespendet: Aber sie wollen um jeden Preis verhindern, dass wir Haitianer bei uns aufnehmen. Und in ein, zwei Monaten ist ihr Schicksal vergessen. Wie in New Orleans. Trotz des Gezeters nach „Katrina” kümmert sich kaum noch jemand um die Zukunft von New Orleans’ Kindern. Wir Einheimischen müssen das selbst in die Hand nehmen: Ich habe deshalb eine Stiftung gegründet, die Wochenend-Workshops für Schulkinder gibt. Sie lernen hier nicht nur westafrikanisches Trommeln. Sondern auch, wie sie mit ihren Finanzen umgehen sollten.

SZ: Ihr Album wurde vom BBC als „bestes Jazzalbum der letzten 50 Jahre” gepriesen.

Scott: Ich höre weder auf meine Feinde noch meine Bewunderer. Das hat mir bereits Großvater beigebracht. Und Jazz spiele ich auch keinen. Ich spiele Blues. Der Blues ist die ehrlichste Ausdrucksform für die menschliche Angst, den menschlichen Schmerz.

SZ: Was haben Sie denn gegen den Jazz?

Scott: Was heute als Jazz bezeichnet wird, sind doch nur langweilige Fingerübungen. Das muss jetzt endlich mal eine Ende haben. Weil er niemanden berührt, er an unserer Realität vorbeigeht. Warum etwa muss heute jemand Hancocks „Cantaloupe Island” covern? Der Song hatte mal eine Bedeutung, weil er auf einen bekannten Urlaubsort der sechziger Jahre anspielte. Aber, sorry, wir schreiben das Jahr 2010.

Interview: Jonathan Fischer