Die Soul-Prinzessin


Von der Politik zur Spiritualität - eine Begegnung mit der Sängerin Erykah Badu


Von Jonathan Fischer

Das Interview beginnt mit einem Versuch in metaphysischer Objektbeeinflussung. Minutenlang starrt Erykah Badu das Wasserglas auf dem Beistelltisch an, doch es will und will sich nicht bewegen. »Ich habe zu lange nicht geübt«, sagt sie schließlich, schüttelt ihre Perlenzöpfchenfrisur und verzieht das Gesicht. »Das kommt davon, wenn man gewisse Partien des Gehirns zu selten benutzt.« Dafür zögert sie nicht – man spricht ja von Mensch zu Mensch–, dem Reporter ihre private Telefonnummer auf den Fragezettel zu kritzeln.

Man fragt sich, was sie wohl als Nächstes tun wird: Räucherstäbchen anzünden? Einem ihr altägyptisches Ankh-Amulett, Sinnbild männlich-weiblicher Symbiose, in die Hand drücken? Ihr esoterisches Gebaren hat Badu schon viel Spott eingebracht. Sie mag die kreativste, eigenwilligste, exzentrischste Figur des schwarzen Pop sein, eine Soulsängerin, deren dramatische Präsenz an eine Primadonna erinnert und deren Songs wie messianische Botschaften gehandelt werden – mit den übersinnlichen Kräften ist es nun einmal so eine Sache. »Früher habe ich intensiv Telekinese und Telepathie studiert«, erklärt die zierliche Frau, deren Sprechstimme etwas Mädchenhaftes hat. »Aber dann sind mir ein paar wichtigere Dinge dazwischengekommen.«

Die wichtigeren Dinge, damit sind ihr 1997 auf Motown erschienenes Debüt Baduizm gemeint, die Karriere als Hohepriesterin des Neo-Soul, ein halbes Dutzend von der Kritik als Manifeste einer ästhetisch-politischen Avantgarde gefeierte Alben sowie eigene Modeschöpfungen, Bühnenbilder und Schulprogramme – vor allem aber ihre drei Kinder Seven Sirius, Puma Sabti und Mars Merkaba. »Meine Einjährige ist im Nebenzimmer bei meiner Mutter«, erklärt sie auf dem Sofa ihres Londoner Hotels. »Ich stille sie noch. Lieber sage ich ein Interview oder eine Tournee ab, als meine Tochter im Stich zu lassen.« Zuerst einmal will Badu als Frau und Mutter gewürdigt werden – und erst in zweiter Linie als Popstar. Ihre Mission liegt in der Verteidigung weiblicher Qualitäten in einem testosterongesättigten Genre.

Hilfreich dabei ist, dass sie aus einer Tradition starker Frauen kommt. »Meine Mutter und Großmutter haben Haushalt und Kindererziehung allein geschmissen. Sie haben mir Schauspielerei, Musik und den Stolz auf die schwarze Geschichte nahegebracht.« Nur so sei zu erklären, dass sie bis heute immer wieder den Mut finde, als Außenseiter zu ihrer eigenen Wahrheit zu stehen. Während sie so spricht, prüft sie, ganz Soul-Prinzessin in T-Shirt und Trainingshose, ausführlich den silbernen Nagellack auf ihren Zehen – um dann endlich auf ihr neues Album New Amerykah Pt. II: The Return Of The Ankh zu sprechen zu kommen. »Den Vorgänger‚ New Amerykah Pt. I«, sagt sie, »habe ich all den Menschen gewidmet, die weltweit für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Nun aber kehre ich zurück zu mir selbst.«

Der Blick vieler Hip-Hop-Künstler geht wieder nach innen

Die Politparole ist emotionalen Komplexitäten gewichen, die digitale Schärfe einer warmen, organischen Instrumentierung. Die Erykah Badu des Jahres 2010 schwingt sich zur Prophetin einer neuen Spiritualität auf. Sie sei im Grunde nie ein Protestmarschierer gewesen, sagt sie. »Meine Arbeit für den Planeten sieht anders aus. Voraussetzung für die Änderung der politischen Verhältnisse ist doch eine Ehrlichkeit im Persönlichen.« Bisweilen klingt das nach Psychoratgeber, andererseits garantiert gerade Badus Unberechenbarkeit die Querschläger im kommerziell verkrusteten Hip-Hop. Sie ist das idealistische Gegengift zur Monokultur champagnerschlürfender und mit Dollarbündeln wedelnder Gangstertypen: »Alle Menschen streben doch nach der Erfüllung des eigenen menschlichen Potenzials. Das ist für mich die höchste Realität.«

Mit Bekenntnissen wie diesen spricht sie stellvertretend für eine wachsende alternative Hip-Hop-Szene. Die Euphorie beim Amtsantritt des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama scheint verflogen, die überzogenen Reform-Hoffnungen der Ernüchterung gewichen, dass politischer Aktivismus allein wohl nicht ausreicht, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auszuhebeln. So ziehen sich – ähnlich, wie das nach dem Scheitern der Bürgerrechtsbewegung schon einmal der Fall war, als die frustrierte Jazz- und Funk-Szene der siebziger Jahre sich ins Private zurückzog – viele Hip-Hop-Künstler auf eine von fernöstlichen Philosophien, Zahlenmystik und Selbsterfahrungspsychologie beeinflusste Spiritualität zurück. Der Blick geht wieder nach innen.

Erykah Badu ist lediglich die sichtbarste Figur dieser weitgehend auf Kleinlabels und im Internet präsenten Szene. Für Amerykah Pt. I hat sie hier einige Produzenten rekrutiert, um – an der Seite altbekannter Mitstreiter wie Questlove und James Poyser – das originellste Hip-Hop-Album seit Langem vorzulegen. Ein Album, das großartige Melodien und experimentelle Instrumentierung zusammenbringt. Da federn die Beats zu Piano, Schlagzeug und Jazzgitarren. Da mischen sich Harfen und ein Theremin in den Funk, während die seelenverwandte Sängerin und Produzentin Georgia Ann Muldrow schräge Harmonien mit kühlen Bassläufen kontrastiert. Out My Mind Just In Time etwa beginnt als gefühlvolle Liebesballade – um dann mit unregelmäßigen Beats und seltsam zerrissener Gesangsdarbietung die Leiden eines gequälten Herzens zu vertonen. Selbst ein Zitat von Rap-Gangster Notorious B.I.G. schneidet Badu zum Selbstausdruck jener so verletzlichen wie starken Frau um, als die sie hier singt.

Erykah Badus radikale Poesie zielt auf eine Gesellschaft, die männliche Vernunft auf Kosten weiblicher Intuition verherrlicht. »Die Zeit der einsamen, gewalttätigen männlichen Helden ist vorbei.« Ihren Kindern, erzählt sie, würden nur zwei Regeln auferlegt: »Respektiere mich« und »Höre mir zu«. Werte, nach denen auch ein der Zuhälterfantasien müdes Hip-Hop-Publikum sich sehnt. Sie nehme sich lediglich die Freiheit, laut zu denken, hat Badu ihren Kritikern einmal geantwortet: Das sei ihr Beitrag zur schwarzen Emanzipation. Ihre Songs jedenfalls liefern nur selten eingängige Pop-Slogans, sondern eröffnen in ihrer Ambivalenz viele Fragen.

»Hip-Hop«, sagt Badu, »ist größer als jede Religion. Er reißt Mauern ein, schafft eine spirituelle Gemeinschaft.« Und: Sie wolle ihren Hörern Mut machen, aus der Herde auszuscheren, auf dass sie »im Einklang mit sich und dem Kosmos leben«. Eine Mission, die möglicherweise noch mehr Übung erfordert als bloßes Gläserrücken.